9 for 2024 and Beyond

9 for 2024 and Beyond

Teil eins der Reihe „Nine for 2024“, einer Situationsanalyse mit Prognosen für 2024 und darüber hinaus

Seit nunmehr 5 Jahren erarbeitet das Thought Leadership Team von IQVIA jährlich einen fundierten, breit und global angelegten Ausblick auf die Entwicklung der Pharmaindustrie, der Gesundheitsversorgung generell und breiterer technologischer Trends. So auch in diesem Jahr, dem fünfjährigen Jubiläum der Reihe. Wir möchten Ihnen an dieser Stelle spannende Einblicke daraus zusammenfassen. Im ersten Teil geht es um die weiterhin bestehende Fragilität der Gesundheitssysteme, die globale pharmazeutische Marktstruktur und das Streben nach erhöhter Resilienz – für 2024 und darüber hinausgehend. Im kommenden Newsletter beschließen wir den Einblick mit einem zweiten Teil.

Vom Marktzugang zur Systembefähigung: Die wachsende Kapazitätslücke im Gesundheitswesen als Herausforderung für die Einführung von Innovation

Neuerungen wie die kommenden Möglichkeiten zur Behandlung von Adipositas mit den erwarteten Auswirkungen auf Herz-Kreislauferkrankungen oder die Zulassung der ersten CRISPR-basierten Therapie in UK und den USA für die Behandlung der Sichelzellenkrankheit und der Beta-Thalassämie werden sehr rasch an Bedeutung gewinnen. Damit stehen die Gesundheitssysteme vor der Herausforderung sich auf Entwicklungen einzustellen, wie dies zuletzt bei der Einführung der Hepatitis-C-Mittel vor ca. einem Jahrzehnt der Fall war.

Im Jahr 2024 werden diese und andere therapeutische Innovationen eine der größten Herausforderungen für die Gesundheitssysteme deutlich machen: die Kluft zwischen den Anforderungen, die die Einführung neuer Therapien an die Gesundheitssysteme stellt, und der Fähigkeit der Gesundheitssysteme, diese Anforderungen zu erfüllen.

Diese „Kapazitätslücke“ im Gesundheitswesen wird im kommenden Jahr bestehen bleiben, was die Einführung von Innovation beeinflussen wird. Diese Kluft zwischen den Anforderungen, die hochentwickelte Arzneimittel an die Kapazitäten des Gesundheitssystems stellen – betreffend Zeit, Ausbildung, infrastrukturelle Engpässe, Ausgaben des Gesundheitssystems und Planung -, ist mit dem Aufkommen zunehmend spezialisierter Arzneimittel dramatisch gewachsen. Heutige Gen- und Zelltherapien zum Beispiel erfordern mehrere hochqualifizierte Fachkräfte und eine komplexe Planung für die Verabreichung und Nachsorge. Doch selbst abseits der extremen pharmakotherapeutischen Spitzentechnologie sind etwa mehrere diagnostische Tests für Krebspatienten heute Gang und Gäbe und damit anforderungsintensiver für die Leistungserbringer. Dies verbessert zwar zweifellos die Behandlung, ist aber mit Kosten- bzw. Ressourcenaufwand verbunden.

Diese Kapazitätslücke war zwar schon vor COVID vorhanden, wurde aber durch die Pandemie drastisch vergrößert, da sie Ressourcen für die Routinebehandlung abzweigte, Rückstaus verursachte, neue Behandlungsanforderungen durch veränderte Umfelder und Versorgungsmuster sowie neue Erkrankungen wie Long COVID mit sich brachte und zur Problemstellung Personalmangel beitrug.

Kapazitätslücken beeinträchtigen die Fähigkeit der Fachkräfte im Gesundheitswesen und der Gesundheitssysteme, neue Gesundheitstechnologien optimal zu übernehmen; sie verlangsamen den Wandel und verringern die Resilienz. Damit sind sie ein wichtiger Faktor für die Einführung von Innovationen. Daher müssen Unternehmen mehr denn je ganzheitlich über die Auswirkungen ihres neuen Medikaments oder ihrer Technologie auf die Gesundheitssysteme nachdenken. Die Zeiten, in denen „Marktzugang“ nur den Zugang zum Budget bedeutete, werden 2024 umfassend vorbei sein. Dies bedeutet eine frühere und umfassendere Einbindung der Gesundheitssysteme, um die Einführung neuer Gesundheitstechnologien mit maximalem Nutzen und minimaler Störung zu planen – Market Access wird zunehmend zum System-Enablement.

 

 

Sicherung der Lieferketten: Stärkung der Grundlagen

Kapazitätslücken sind auch in der der Bereitstellung von patentfreien Arzneimitteln, die den größten Teil des Behandlungsvolumens ausmachen und das Rückgrat des Gesundheitsmanagements für das Gros der Bevölkerung bilden, beobachtbar.

Die Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe (API) hat sich in den letzten Jahrzehnten auf eine kleinere Anzahl von Ländern konzentriert. Heute werden ca. 60 % der Wirkstoffe entweder in China oder in Indien hergestellt. Nicht zuletzt hat die COVID-19-Pandemie diese Konzentration und damit die Anfälligkeit der globalen Lieferkette deutlich gemacht.

Zu den Ursachen von Engpässen gehören unter anderem unflexible Rahmenbedingungen für den Einkauf von Generika, die nur geringe Gewinnspannen zulassen und zu einer Konzentration der Produktion auf eine Handvoll Lieferanten führen, so dass die Rücknahme selbst einzelner Produkte aus wirtschaftlichen Gründen große Auswirkungen auf die Versorgungslage haben kann. Mit der Zunahme globaler Spannungen ist anzunehmen, dass auch das Risiko der Nichtkooperation und von Exportverboten steigt.

Globale Lieferketten sind häufig undurchsichtig, die Datenerfassung zu Engpässen ist unvollständig und es gibt nur wenige Prognoseinstrumente zur Ermittlung künftiger Risiken. Daher wird sich 2024 verstärkt die Erkenntnis durchsetzen, dass politische Lösungen erforderlich sind, um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.
Es steht zu erwarten, dass Änderungen der Gesetzgebung darauf abzielen werden, das Angebot besser zu erfassen und Angebotspluralität zu incentivieren. Ansätze dazu können etwa Nearshoring, die Stärkung vertrauenswürdiger Partnerschaften, die Finanzierung von Investitionen in die Produktion wichtiger Produkte und stärkere Flexibilität bei der Erstattung zum Ausgleich von Marktschwankungen sein. Die Umsetzung von Lösungen wird jedoch weder einfach noch schnell möglich sein.

 

Tiefe oder Breite? Die strategische Entscheidung der globalen Pharmaindustrie

Der Wert des globalen Pharmamarktes weist eine starke Konzentration auf eine relativ kleine Anzahl von Ländern auf. Die sieben Märkte von USA, Japan, Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Italien und Spanien haben in der Vergangenheit mehr als 80 % des weltweiten Rx-Umsatzes ausgemacht. Mit Fokus auf innovative neue Wirkstoffe, ist die Konzentration sogar noch höher: ca. 90 % des kumulierten Umsatzes der ersten fünf Jahre entfallen auf diese Märkte. Eine rückläufige Entwicklung ist hier jedoch feststellbar: im Jahr 2023 entfielen auf diese sieben Märkte nur noch 76 % des weltweiten Wertes, und der Umsatz mit innovativen verschreibungspflichtigen Medikamenten ist außerhalb der sieben führenden Märkte schneller gewachsen als darin.

Wenn sich die Konzentration des Weltmarktes (leicht) umkehrt, hat dies naturgemäß Auswirkungen auf die strategischen Entscheidungen, die globale Pharmaunternehmen zu treffen haben. Es stehen sich die Möglichkeiten „go deep“ und „go broad“ gegenüber.

In den letzten anderthalb Jahrzehnten, in denen Specialty Products den weltweiten Wertzuwachs angetrieben haben, hat sich fokussiertes Engagement in einer kleinen Gruppe von Märkten mit hohem Einkommen als erfolgreich erwiesen. Zwei Faktoren kehren diesen Trend um: erstens, die anhaltende Herausforderung der Gesundheitsbudgets in den Märkten mit höherem Einkommen als Folge der Pandemie und der Wirtschaftskrise, gekoppelt mit makro-legislativen Ereignissen, z.B. dem Inflation Reduction Act (IRA) in den USA. Zweitens erfordert die Renaissance der Innovation bei chronischen Massenkrankheiten, allen voran Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas, den Zugang zu großen Patientengruppen über die sieben führenden Märkte hinaus. Um dies in vollem Umfang zu realisieren, müssen Unternehmen bereit sein, lokale Preisgestaltung zu managen und Zugangslücken zu schließen. Auch hier ist die Befähigung der Gesundheitssysteme entscheidend für einen breit angelegten Ansatz auf den globalen Märkten.

Wenn 2024 das Pendel von der immer stärkeren Konzentration auf einige wenige Märkte mit hohem Einkommen zurückschwingt, wird die strategische Wahl für globale Pharmaunternehmen nicht entweder/oder lauten, sondern beides, mit einer breiteren Streuung der Märkte, wo Portfolioveränderungen dies erfordern. Da die kardiometabolischen Märkte dramatisch expandieren, wird sich grundlegend ändern, wo das Wertwachstum bei verschreibungspflichtigen Medikamenten stattfindet. Die Unternehmen werden sich im Sinne der Systembefähigung von der alten Vorstellung lösen müssen, dass der Marktzugang in den Kernländern mit höherem Einkommen und in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen nur über das Budget erfolgt. Die angewandten Lösungen werden unterschiedlich sein, aber das Prinzip ist einheitlich: Erfolg ab 2024 bedeutet, dass die Pharmaunternehmen die Gesundheitssysteme als Partner einbeziehen müssen, um das gemeinsame Interesse zu verfolgen, die richtigen Medikamente zu den Patienten zu bringen.

 

 

Teil 2 dieser Reihe wird im kommenden Newsletter erscheinen.

 

 

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Bernhard Hattinger

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