Im Fokus: Apotheken in Bulgarien

Assena Serbezova ist Pharmazeutin und Dozentin an der Fakultät für
Pharmazie der Medizinischen Universität in 
Sofia.
Prof. Serbezova hat über 100 wissenschaftliche 
Arbeiten zur
pharmazeutischen Praxis in europäischen 
Ländern veröffentlicht.

Eine ihrer früheren Tätigkeiten war die Leitung
der bulgarischen Arzneimittelbehörde.

 

 

Wir haben der Bulgarischen Pharmazeutischen Union und Vertretern der pharmazeutischen Gemeinschaft zwei Fragen über ihre Herausforderungen im Jahr 2020 und ihre Erwartungen im Jahr 2021 gestellt.

 

Mit welchen besonderen Problemen waren Sie im Jahr 2020 neben Covid-19 konfrontiert? 
Zu den größten Herausforderungen, mit denen sich die bulgarische Apothekerschaft 2020 konfrontiert sah, gehörten einerseits Lieferengpässe von Arzneimitteln und andererseits der Mangel an persönlicher Schutzausrüstung. Außerdem gab es eine große Nachfrage nach rezeptpflichtigen Medikamenten, für das die PatientInnen kein entsprechendes Rezept vorlegen konnten. Apotheker, als die am leichtesten zugänglichen medizinischen Spezialisten an vorderster Front, waren mit den Ängsten und Erwartungen von Menschen konfrontiert, die nicht wussten, wie sie sich vor dem Virus schützen oder seine Ausbreitung eindämmen konnten. Viele Menschen mit Dauermedikation versuchten, sich verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Untersuchung telefonisch verschreiben zu lassen, was zu einer gewissen Spannung im System und einer zunehmenden Nachfrage an knappen Medikamenten führte. Die Bulgarische Pharmazeutische Union etablierte zusammen mit der Nationalen Krankenkasse eine alternative Medikamentenversorgung für Patienten mit chronischen Krankheiten, die eine konstante unveränderte Langzeittherapie erhalten, sodass der Patient unnötige Arztbesuche für Rezeptabholungen vermeiden konnte.

Eine weitere Herausforderung im vergangenen Jahr war die Entwicklung des elektronischen Rezepts als Teil des nationalen Gesundheitsinformationssystems. Dies ist ein komplexer Prozess, dessen Umsetzung noch nicht abgeschlossen ist. Ein weiteres digitales System wird derzeit im Land implementiert, das die Verfügbarkeit von Medikamenten vom Zeitpunkt ihrer Einfuhr in das Land über die Großhändler bis hin zu den Apotheken verfolgen soll. Von diesem System wird erwartet, dass es die Lieferplanung und Logistik von Medikamenten verbessert und die Gefahr von Engpässen reduziert.

Im vergangenen März, als die Auswirkungen der Pandemie auch Bulgarien erreichten, ordnete die Staatsanwaltschaft Inspektionen in den Apotheken an. Mehrere Wochen lang wurde wir von fünf Institutionen gleichzeitig kontrolliert was es zusätzlich erschwerte, den „Normalbetrieb“ und damit die Patientenversorgung zu gewährleisten. Trotzdem gelang es uns, die Beratungsqualität an der Tara unter strikter Einhaltung der strengen Anti-Epidemie-Maßnahmen aufrecht zu erhalten.  Bei sinkenden Margen und gleichzeitiger Niederlassungsfreiheit stieg der Wettbewerb innerhalb der Apothekerschaft kontinuierlich im Verlauf der letzten Jahre. Angesichts des geringen Durchschnittseinkommens der Bevölkerung und der mangelnden gesundheitlichen Aufklärung wird die Wahl der Medikamente hauptsächlich über den Preis getroffen. Es ist die Aufgabe der PharmazeutInnen, den Menschen einen vernünftigen Umgang mit Medikamenten zu vermitteln, und als medizinische Fachkraft nicht zum Verkäufer im weißen Kittel zu werden. Ich glaube fest daran, dass für die Apotheker in Bulgarien bessere Zeiten anbrechen und dass wir alle Teil dieses Wandels sein werden.

 

Welche Herausforderungen sehen Sie für 2021?
Problematisch sehe ich die verschiedenen Formen direkter oder indirekter Werbung für Medikamente, die zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden. Manche Aussagen von medizinischen Fachleuten in den Massenmedien führen zu einem starken Anstieg der Nachfrage. Die Erwartungen an diese Produkte sind unrealistisch hoch, während die wissenschaftlichen Beweise bisweilen strittig sind. Wie so oft liegt es an den KollegInnen an der Tara, hier die Erwartungen der Menschen in realistische Bahnen zu lenken. Die fehlende Möglichkeit zur Substitution von generischen Substanzen ist in Verbindung mit Lieferengpässen ebenfalls problematisch. Dies bringt meine KollegInnen oft in die Situation, Patienten zurückweisen zu müssen, denen ein Produkt mit einem streng definierten Handelsnamen verschrieben wurde, das gerade nicht verfügbar ist.

Prinzipiell sehe ich im europäischen Vergleich in Bulgarien noch politischen Aufholbedarf, die Apotheke als niederschwellige, erste Anlaufstelle in Gesundheitsfragen zu etablieren. Sei es im Bereich von Impfungen und der damit verbundenen Aufklärungsarbeit oder auch anderer, gesundheitsfördernder Maßnahmen. Die größte Herausforderung für die Entwicklung der bulgarischen Pharmazie, sowohl im Jahr 2021 als auch in den kommenden Jahren, ist das Fehlen eines umfassenden und ganzheitlichen Managementansatzes für die Gesundheitsversorgung. Ich denke, dass die Apothekerschaft hier wesentlich stärker eingebunden werden müsste, um das derzeit ungenützte Potenzial bestmöglich auszuschöpfen.