Gesundheitsreform beschlossen

Auch Generika- und Biosimilar-Preisregeln verlängert

Als im Herbst 2023 eine Grundsatzeinigung in den Finanzausgleichsverhandlungen verkündet wurde, versicherte Gesundheitsminister Rauch, dass damit auch der Grundstein zu einer breiteren Gesundheitsreform gelegt sei. Die Meinungen, ob mit dieser Einigung die Weichenstellungen für Reformen, ohne die das Gesundheitssystem „an die Wand fahren würde“, geglückt waren, blieb unter Experten und Beobachtern umstritten. Doch Gesundheitsminister Rauch signalisierte Zuversicht, wenn er vor dem Hintergrund notwendiger Reformen ankündigte, dass „eine gemeinsame Planung nun stattfinden werde“.

Und so sprach Gesundheitsminister Rauch auch von einem großen Erfolg, als in den letzten Sitzungstagen des Parlaments 2023 die angekündigte Gesundheitsreform durch National- und Bundesrat beschlossen wurde. Formell gesehen wurde eine umfangreiche Sammelnovelle („Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024“), welche Änderungen in 13 Rechtsmaterien vornimmt, beschlossen, sowie die beiden damit in Zusammenhang stehenden 15a-B-VG-Vereinbarungen, in denen die Eckpunkte und Inhalte der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern („Zielsteuerung Gesundheit“) festgelegt, sowie die Umsetzung der für den Gesundheitsbereich relevanten Teile des Finanzausgleichs für die Jahre 2024 bis 2028 festgeschrieben werden. Ebenso wurde ein Maßnahmenpaket zur Vermeidung von Engpässen bei Medikamenten beschlossen, welches u.a. eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes bedeutet.

 

Kernpunkte der Gesundheitsreform

Der Anspruch der Gesundheitsreform ist es, die hochwertige solidarische Versorgung der PatientInnen in Österreich für die Zukunft abzusichern und wachsenden Problemfeldern geeignete Maßnahmen entgegenzusetzen. Dabei sollen die getroffenen Maßnahmen strukturell und langfristig Wirkung entfalten.

Die Kernpunkte der Gesundheitsreform umfassen Maßnahmen in 6 Bereichen:

  • Stärkung des niedergelassenen Bereichs
  • Strukturreformen in den Spitälern
  • Ausbau digitaler Angebote
  • Gesundheitsförderung und Vorsorge
  • Impfprogramme
  • Medikamentenversorgung

Zur Stärkung des niedergelassenen Bereiches werden, wie im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen beschlossen, im Zuge der Gesundheitsreform 300 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr zur Verfügung gestellt. Mit diesen Mitteln sollen zunächst 100 zusätzliche Kassenstellen, vor allem in der Primärversorgung, geschaffen werden. Um die Attraktivität dieser Kassenstellen für Ärzte zu erhöhen, soll ein moderner, bundesweit einheitlicher Gesamtvertrag zwischen Sozialversicherung und Ärztekammer abgeschlossen werden. Des weiteren wurde das Ziel einer Verdreifachung der Zahl der Primärversorgungszentren sowie eine einfachere Genehmigung von Gruppenpraxen und Ambulatorien beschlossen, womit das Leistungsangebot auch zu Tagesrandzeiten und an Wochenenden verbessert werden soll. Zukünftig wird zudem eine verbindliche Planung von Kassenstellen durch das jeweilige Bundesland mit dem Regionalen Strukturplan Gesundheit stattfinden. Bisherige Einspruchsmöglichkeiten der Ärztekammer etwa gegen neue Kassenstellen oder Ambulatorien der Sozialversicherungsträger entfallen.

Gemäß dem neuen Leitspruch „Digital vor ambulant vor stationär“ soll eine Umschichtung der Patientenströme das Spitalssystem entlasten. Die Entlastung der teuersten Gesundheitsversorgungsebene soll damit auch Kosten(steigerungs)dämpfend wirken. Zur Erreichung des Ziels, weniger Patienten im stationären Setting zu betreuen, sollen – in Kombination mit der Stärkung des niedergelassenen Bereiches – Spitälern verstärkt Fachambulanzen, Tageskliniken etc. vorgelagert werden. Für den Aufbau neuer Strukturen erhalten die Bundesländer lt. dem Finanzausgleich auch jährlich rund 600 Mio. Euro zusätzlich.

Für den Ausbau digitaler Angebote werden im Rahmen der Gesundheitsreform 51 Mio. Euro jährlich bereit gestellt. Durch verbesserte digitale Angebote ist das beabsichtigte Ziel, die Versorgung schneller, besser und kostengünstiger zu gestalten. Dabei soll auch die Rolle der telefonischen Gesundheitshotline zur Erstabklärung bei Beschwerden gestärkt werden und durch Video-Beratungen von HCPs ergänzt werden. DiGAs sollen vermehrt zur Symptom- und Datenerfassung (etwa bei Diabetes) zum Einsatz kommen und etwa bei Lebensstiländerungen unterstützen. Längerfristig soll darauf hingearbeitet werden, dass „digitale Gesundheitsanwendungen auf Rezept” möglich werden. Die Diagnosecodierung wird bei allen niedergelassenen Ärzten verpflichtend. Durch Etablierung einer einheitlichen Dokumentation von Erkrankungen soll der Informationsfluss zwischen den Versorgungsebenen verbessert werden. Zugleich sollen dadurch Entwicklungen im Krankheitsgeschehen einfacher erkannt und damit eine evidenzbasierte Planung von Gesundheitsprogrammen ermöglicht werden. Auch Wahlärzte werden mit spätestens 2026 zur Teilnahme an E-Card-System und ELGA verpflichtet.

Während die Lebenserwartung in Österreich über dem OECD-Schnitt liegt, schneiden die Österreicher bei den Messgrößen „Lebensjahre in Gesundheit“ und „Gesundheitswissen“ bekannt unterdurchschnittlich ab. Als Grund ist oftmals die Ausrichtung des heimischen Gesundheitssystems auf „Reparaturmedizin“ genannt worden, während für Prävention und Gesundheitsförderung bis dato keine eindeutige Zuständigkeit zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung festgelegt war. Im Rahmen der Gesundheitsreform sollen daher künftig 60 Mio. Euro pro Jahr zusätzlich in Programme zur Gesundheitsförderung und -vorsorge fließen und damit langfristig eine Entlastung des Gesundheitssystems erreicht werden. Zu diesem Zweck soll das Projekt „Frühe Hilfen“ für Schwangere und junge Eltern flächendeckend ausgerollt werden und Doppelgleisigkeiten zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung durch Erweiterung und Zusammenführung von Angeboten abgebaut werden.

Ebenfalls Teil der Gesundheitsreform sind Pläne für eine schrittweise Stärkung des nationalen Impfangebotes. Um zusätzliche Impfungen kostenlos oder vergünstigt anzubieten, werden jährlich 90 Mio. Euro bereitgestellt mit dem Ziel, die Durchimpfungsraten in Österreich nachhaltig zu verbessern. Genauere Umsetzungsschritte auf dem Weg zum Ausbau des Impfangebots für Erwachsene entlang der Prioritäten des österreichischen Impfplans stehen noch aus.

Im Bereich der Medikamentenversorgung sind Dauerthemen die Sicherstellung derselben (bzw. die Vermeidung von Lieferengpässen und die Stärkung der Lieferketten) sowie die Finanzierung hochpreisiger, innovativer Therapien. Ein besonders heftig diskutierter Bereich der Gesundheitsreform ist in diesem Zusammenhang das geplante Bewertungsboard für innovative hochpreisige Medikamente. Dieses Bewertungsboard soll künftig vor der Anwendung in Spitälern den Einsatz neuer Medikamente nach sachlichen und wissenschaftlichen Kriterien prüfen und Empfehlungen aussprechen, die Spitälern in ganz Österreich eine einheitliche Entscheidungsgrundlage bieten. Laut Gesundheitsminister Rauch soll das Board aus fachkundigen VertreterInnen der Bereiche Humanmedizin und Pharmazie besetzt werden, die Letztentscheidung bezüglich der Arzneimittel beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin bzw. beim Spital verbleiben. Dies soll das derzeitige System durch Transparenz und Evidenz verbessern. Kritiker jedoch befürchten ein „Innovationsverhinderungsboard“, das auf Kosten der Patienten bei innovativen Arzneimitteln spart.

Abseits der eigentlichen Gesundheitsreform wurde ein sogenannten Maßnahmenpaket zur Vermeidung von Engpässen bei Medikamenten beschlossen. Die Novellierung des Arzneimittelgesetzes sieht vor, dass Pharmafirmen und Arzneimittelhändler entschädigt werden, wenn ihnen aufgrund von behördlichen Bevorratungs-Anordnungen Zusatzkosten entstehen. Dabei geht es einerseits um die Abgeltung von Lagerkosten für betroffene Medikamente und andererseits um Entschädigungen für verfallene Wirkstoffe, sollten diese doch nicht benötigt werden. Außerdem wurde eine Änderung des Arzneiwareneinfuhrgesetzes und des Rezeptpflichtgesetzes beschlossen. Bei Engpässen wird die Einfuhr von Arzneimitteln nach Österreich ermöglicht, wenn die betreffenden Medikamente zumindest in einem anderen Mitgliedstaat des europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) bereits zugelassen sind. Schließlich werden Arzneimittel-Großhändler vorübergehend einen Infrastruktursicherungsbeitrag von 0,28 € für jene Medikamente erhalten, die an eine im Inland ansässige öffentliche Apotheke oder Anstaltsapotheke abgegeben wurden und deren Kosten unter der Rezeptgebühr liegen.

 

Verlängerung der Generika- und Biosimilarpreisregeln sowie des Preisbandes beschlossen

Ebenso in letzter Sekunde wurden die Verlängerungen der Generika- und Biosimilarpreisregeln sowie des Preisbandes beschlossen.

Die Verlängerung der Generika- und Biosimilarpreisregeln wurden von Branchenvertretern begrüßt. Prinzipiell wird positiv bewertet, dass sie Planungssicherheit für pharmazeutische Unternehmen bieten. Eine zentrale Forderung der Branchenvertreter jedoch, nämlich die Regelungen in Dauerrecht zu überführen, wurde nicht erfüllt: wiederum ist die Verlängerung auf die Dauer von 2 Jahren limitiert.

Preis- und Erstattungsregeln im Zweijahresrhythmus zur Diskussion zu stellen, konterkariert die Planungssicherheit und, so befürchten Kritiker, kann negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit mit Medikamenten in Österreich haben.

Die gültige Regelung zum Preisband legt fest, dass der Höchstpreis der wirkstoffgleichen Arzneispezialitäten nur mehr 20 % über dem Preis der günstigsten Arzneispezialität desselben Wirkstoffs liegen darf. Zudem orientiert sich der jeweilige Höchstpreis ab Oktober 2023 an der sogenannten „Schlüsselstärke“, also jener Wirkstoffstärke, welche über alle vertriebsberechtigten Unternehmen hinweg in Summe die meisten auf Rechnung der Krankenversicherungsträger abgegebenen Verordnungen aufweist, wobei eine Absenkung nur bis zur Rezeptgebühr zu erfolgen hat.

 

 

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