General Manager Circle

Sparmaßnahmen, Papiertiger
und Digitalisierungsversuche

 

Dr. Stefan Plantör stellte beim IQVIA General Manager Circle aktuelle Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem vor.

Am 9. November 2023 lud IQVIA wieder zum jährlichen General Manger Circle in das Schwarze Kameel. Zum Thema in diesem Jahr wurde die aktuelle Situation im deutschen Gesundheitswesen auserkoren, die in einem spannenden, länderübergreifenden Vergleich mit Österreich betrachtet wurde.

Zu diesem Zweck durfte IQVIA Österreich mit Dr. Stefan Plantör, der bei IQVIA Deutschland den gesundheitspolitischen und -ökonomischen Bereich leitet, einen ausgewiesenen Experten des deutschen Gesundheitssystems in Wien begrüßen. Mit seinem kurzweiligen und spannenden Vortrag beleuchtete Dr. Plantör die aktuellsten Entwicklungen in der deutschen Gesundheitsversorgung und sorgte mit seiner Expertise für einen offenen Gedankenaustausch mit den Teilnehmern über Chancen und Risiken, die daraus für die Industrie erwachsen können. Der Vortrag „Sparmaßnahmen, Papiertiger und Digitalisierungsversuche – die Lauterbachshow“ ging auf aktuelle deutsche Entwicklungen und Initiativen, insbesondere im Bereich Market Access, ein. Dabei berichtete Dr. Plantör unter anderem aus folgenden Themenbereichen:

  • Regulierungssituation bzgl. Marktzugang und Ausgaben für Arzneimittel für Deutschland
  • GKV-Finanzstabilisierungsgesetz
  • Generika
  • Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG)
  • Digital-Gesetz (DigiG) und Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz (GDNG)

Instrumente zur Ausgabenregulierung für Arzneimittel

Dr. Plantör begann seinen Vortrag mit der Erläuterung der im Vergleich zur österreichischen „Boxenlösung“ recht komplexen deutschen Regulation des Marktzuganges und der Ausgaben für Arzneimittel, in dem er die bundeseinheitlichen und regionalen Instrumente, die dafür geschaffen wurden, vorstellte. Er kam zum Schluss, dass die Steuerungsmechanismen nicht vergleichbar sind. Während Österreich durch den Erstattungskodex einen starken Fokus auf den Verordner (Arzt) bewahrt hat, zeichnet sich das deutsche System durch ein ausgesprochen komplexes Regelwerk aus, das bisweilen Überschneidungen und Widersprüche beinhaltet. Es nutzt unterschiedliche Regulierungsebenen (Arzt, Apotheker, Kassen) zur Ausgabensteuerung, besitzt föderalistisch begründete regionale Besonderheiten in der Ausprägung und wird nicht zuletzt durch das Vorhandensein besonderer Vertragssituationen geprägt. Die komplexe Ausgabensteuerung auf Preisseite für Arzneimittel alleine umfasst neben der Arzneimittelpreisverordnung noch Instrumente wie den Festbetrag, Rabattverträge, die Importförderregelung, das Preismoratorium, Herstellerzwangsabschläge, den Erstattungsbetrag sowie den Kombinationsabschlag.

Die Auswirkungen dieser komplexen Steuerung präsentierte Dr. Plantör eindrucksvoll durch einen Vergleich der kolportierten Ausgabensteigerung für Arzneimittel der gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland von ca. 8% im 1. Halbjahr 2023 mit der erwarteten Entwicklung nach Berücksichtigung der diversen preissenkenden Instrumente von ca. -2,2%.

 

 

 

GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

2022 hat das deutsche Parlament das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) beschlossen, mit dem die Bundesregierung die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für 2023 zu stabilisieren suchte und zudem strukturelle Maßnahmen zur mittel- und langfristigen Sicherung einer solidarischen und nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung schaffen wollte. Vorangegangen war diesem Gesetz ein kolportiertes Defizit für das Jahr 2023 in Höhe von 17 Milliarden Euro. Thema und Treiber der Debatte war nicht zuletzt die Kostenentwicklung für Arzneimittel.

 

Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beinhaltete geplante Einsparungen von fast €4 Milliarden bei Arzneimitteln. Dies sollte unter andere durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

  • Für 2023 ist ein um 5 % erhöhter Herstellerabschlag, insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel, vorgesehen
  • Der Apothekenabschlag wurde für die Dauer von zwei Jahren von 1,77 Euro auf 2 Euro erhöht
  • Das Preismoratorium wird bis Ende 2026 verlängert
  • Reform AMNOG (Arzneimittel-Neuordnungsgesetz): Mittelfristig wirkende strukturelle Änderungen der Preisbildung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen und ergänzenden Maßnahmen zur Dämpfung des Ausgabenanstiegs, umfasst unter anderem:
    • Orphan Drug Umsatzschwelle: Reduktion der Umsatzschwelle für Orphan Drugs für die „vollständige“ Nutzenbewertung von 50 Mio. Euro auf 30 Mio. Euro
    • Abschlag auf Kombinationstherapien: Einführung eines Kombinationsabschlags in Höhe von 20 % auf den ApU für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen (patentgeschützt) bei neuen Verfahren ab Mai 2023
    • Erstattungsbeträge: Abschlagsvorgaben (kein, geringer, nicht-quantifizierbarer Zusatznutzen) und Mengenkomponente in der Erstattungspreisvereinbarung (AMNOG)

Dr. Plantör führte aus, dass die effektive Kostendämpfung durch diese neuen Regelungen noch nicht zu berechnen sei. Insbesondere die Auswirkungen der neuen Orphan Drug Umsatzschwelle, des Kombiabschlages und des Preismoratoriums sind allenfalls als Schätzung möglich, nicht zuletzt begründet in noch offenen Umsetzungsfragen, etwa bei den Kombinationstherapien. Diskutiert werden auch mögliche unbeabsichtigte Auswirkungen der Kostendämpfung durch Neuregelung des AMNOG: kann Deutschland unter diesen Vorzeichen der präferierte „First Launch Place“ Europas bleiben oder gerät Deutschland damit als führendes europäisches Innovationsland in Gefahr?

Generika

Die Ausgabensteuerung für Generika stützt sich in Deutschland einerseits auf die Vorgabe von Generika-Quoten (bzw. Biosimilar-Quoten) für den GKV-Arzt, die in Verträgen zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und gesetzlicher Krankenversicherung auf regionaler Ebene festgelegt werden, andererseits auf die „aut-idem“-Regelung zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln, die Festbetragsregelung sowie auf Rabattverträge.

Die aut-idem-Regelung besagt, dass bei einer Wirkstoffverordnung die Apotheke eines der vier preisgünstigsten Arzneimittel abgeben muss. Liegt ein Rabattvertrag vor, muss die Apotheke einen Rabattpartner der jeweiligen Krankenkasse abgeben. Die Pflicht zum Austausch durch eine kostengünstige Alternative gilt nur dann nicht, wenn der Arzt diesen Austausch auf dem Rezeptvordruck ausschließt, indem er das aut-idem-Feld im Verordnungsblatt ankreuzt. Spannend dabei ist, dass im Schnitt bei ca. 7,3 % der Verordnungen eine Substitution ausgeschlossen wird und dieser Anteil nach ATC-1 Klasse unterschiedlich ausgeprägt ist:

 

 

Die Festbetragsregelung regelt mit der Festsetzung des Festbetrages eines Arzneimittels den höchsten Betrag, den die gesetzlichen Krankenversicherungen für ein Arzneimittel bezahlen dürfen. Diese Festbetragsregelung erfolgt nach Festbetragsgruppen auf 3 Ebenen (selber Wirkstoff (Stufe 1), ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbarer Wirkstoff (Stufe 2) bzw. eine therapeutisch vergleichbare Wirkung, insbesondere in Arzneimittelkombinationen (Stufe 3)) und kann auch patentgeschützte Wirkstoffe betreffen, sofern sie nicht entweder eine therapeutische Verbesserung (inkludiert auch ein geringeres Nebenwirkungsprofil) oder eine neuartige Wirkweise aufweisen können. Der Festbetragsmarkt umfasste 2022 ca. 29% des Gesamtumsatzes im GKV-Markt.

 

 

Dabei nicht außer Acht zu lassen ist die existierende Doppelregulierung: 71% der im GKV-Markt abgegebenen Packungen mit Festbetrag unterliegen zusätzlich einem Rabattvertrag.

Rabattverträge schließen die Krankenkassen oder ihre Verbände mit pharmazeutischen Unternehmern ab, um Rabatte für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel zu vereinbaren. Dabei kann insbesondere eine mengenbezogene Staffelung des Preisnachlasses, ein jährliches Umsatzvolumen mit Ausgleich von Mehrerlösen oder eine Erstattung in Abhängigkeit von messbaren Therapieerfolgen vereinbart werden. Im Juni 2023 existieren zwischen 96 Kassen und 263 Herstellern in Deutschland für 21.136 PZNs unglaubliche 776.227 Verträge in 17.712 Vertragsbeziehungen. Seit 2015 pendelt der Wert der Einsparungen am Umsatz des GKV-Rabattmarktes durch Rabattverträge zwischen 51 und 35 %:

 

Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG)

Seit 27.07.2023 ist ALBVVG in Deutschland in Kraft und kann etwa im Einzelfall auf Antrag ein befristetes Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit ausländischer Kennzeichnung und/oder Gebrauchsinformation erlauben. Demgegenüber hat Österreich schon 2020 eine Verordnung des BMG über die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung zu Buche stehen, die auch ein Exportverbot ermöglicht.

In Deutschland wurden laut der Lieferengpassdatenbank des BfArM im laufenden Jahr bislang 73 neue Lieferengpässe gemeldet, wobei rund 100 Handelsformen hinter den 73 Meldungen stehen. Bei je einem Drittel der Meldungen entsteht der Engpass durch eine erhöhte Nachfrage oder Probleme in der Herstellung:

 

 

Digital-Gesetz (DigiG) und Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz (GDNG)

Mit der ELGA war Österreich der deutschen elektronischen Patientenakte ePA um einiges voraus. Die ePA wurde schrittweise seit 2021 eingeführt und soll nun ab Jänner 2025 lt. Digital-Gesetz, dessen Inkrafttreten noch für 2023 geplant wäre, weiterentwickelt werden. 

Dabei soll zunächst ein digital gestützter Medikationsprozess integriert werden, der die Verordnungsdaten/Dispensierinformationen der aktuell verordneten Medikation sowie Daten zu OTC-Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln umfasst. Des weiteren sollen GKV, Arzt und abgebende Apotheke zur Erstellung eines elektronischen Medikationsplanes verpflichtet werden. Zu diesem Zweck soll auch die Einbettung des eRezeptes stattfinden, um die vertragsärztlichen, elektronischen Verordnungen und Einlösungen in der Apotheke zu erfassen. Das deutsche eRezept kann seit Mitte 2022 bundesweit in Arztpraxen und Krankenhäusern, die bereits die technischen Voraussetzungen erfüllen, für die Verordnung von Arzneimitteln genutzt werden. Die Apotheken sind seit September 2022 bereits bundesweit dazu in der Lage. Ärztinnen und Ärzte sind derzeit dazu angehalten, E-Rezepte vermehrt zu verwenden. Die verpflichtende Nutzung wird ab 2024 eingeführt.

Der nächste Schritt der Weiterentwicklung ist die sogenannte Elektronische Patientenkurzakte (ePKA). In ihrem Rahmen soll die Speicherung von Daten, die im Rahmen der medizinischen Behandlung digital in strukturierter oder auch unstrukturierter Form, (z.B. als JPEG-, PDF) oder in anderen Dokumentenformaten vorliegen (z.B. Arztbriefe, Befundberichte etc.), möglich werden. Weiters soll sie Daten aus DiGAs oder Erklärungen zur Organ-/Datenspende umfassen können.

Als dritten Schritt der Weiterentwicklung wird die Aufnahme von Labordaten-Befunden angestrebt.

Auch die Verabschiedung des Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz GDNG ist von Seite des dt. Gesundheitsministers noch für 2023 geplant. Mit ihm soll eine Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Daten des Deutschen Forschungsdatenzentrums, das auch ePA-Daten und Kassendaten beinhalten wird, für Forschungsprojekte natürlicher und juristischer Personen geschaffen werden. 

Als Beispiel werden die Kosten- und Leistungsdaten des Forschungsdatenzentrums etwa Abrechnungsdaten enthalten, insbesondere über  

  • die Krankenhausbehandlung
  • die ambulante ärztlichen Versorgung 
  • die Arzneimittelversorgung 
  • die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen 
  • die Versorgung durch Hebammen 
  • die Versorgung durch andere Leistungserbringer 

 

 

Zum Speaker:

Dr. Stefan Plantör leitet als Senior Principal for Health Economic Outcome & Research den gesundheitspolitischen und -ökonomischen Bereich bei IQVIA Deutschland. Er arbeitet seit dem vorherigen Jahrhundert in und für die Pharmaindustrie und hat eine Vielzahl von Beratungsprojekten im Rx und MedTech Bereich durchgeführt. Schwerpunkte sind neben HTA Projekten die Beantwortung gesundheitspolitischer Fragestellungen und die Unterstützung an der Schnittstelle zwischen klinischer Entwicklung und Markteinführung.

 

Für Fragen wenden Sie sich an:
Bernhard Hattinger

IQVIA Marktforschung GmbH
Stella-Klein-Löw-Weg 15, 1020 Wien
M: +43 (0) 664 8000 2336
E-Mail: bernhard.hattinger@iqvia.com