Weichenstellungen

Herbstliche Weichenstellungen
in der Gesundheitspolitik

 

Grundsatzeinigung zum Finanzausgleich

Die Finanzausgleichsverhandlungen wurden vor wenigen Wochen mit einer Grundsatzeinigung nach mehr als 60 Verhandlungsrunden abgeschlossen. Bund, Länder und Gemeinden haben sich damit für die kommenden Jahre über die Neuaufteilung der gemeinschaftlichen Bundesabgaben geeinigt. Es ging um viel Geld in diesen Verhandlungen, die daher auch mit Vehemenz geführt wurden. In 2022er Zahlen waren dies ca. 100 Mrd. Euro Einnahmen aus gemeinschaftlichen Abgaben. Bisher verblieben davon 68 % beim Bund, während 20 % an die Länder und 12 % an die Gemeinden gingen.

Länder und Gemeinden forderten, den primären Verteilungsschlüssel auf 25 % bzw. 15 % für Länder bzw. Gemeinden zu steigern – das wären zusätzliche Mittel von 8 Mrd. Euro auf Basis der Zahlen von 2022 gewesen. Begründet wurde dies nicht zuletzt durch die steigenden Kosten für Spitäler und Pflege und als Abgeltung von Verlusten, etwa durch Abschaffung der sogenannten „kalten Progression“. Der Bund wiederum hielt dagegen, dass seit 2018 und im Gefolge von Corona die eigenen Kosten stärker gestiegen waren als jene der Länder und Gemeinden.

Gerade für das Gesundheitssystem waren diese Verhandlungen von entscheidender Bedeutung: eine der drei Arbeitsgruppen zum Finanzausgleich war ausschließlich diesem Thema gewidmet, zudem wurden noch eigene Unterarbeitsgruppen im Laufe der Verhandlungen hinzugefügt. Der Fiskalrat rechnet bekannter Weise mit einem besonders starken Anstieg der Ausgaben für Gesundheits- und Pflegeleistungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten – die Finanzierungsfrage ist also hochaktuell, denn diese muss im Krankenanstaltenbereich aus Mitteln der Länder und Gemeinden (mit)getragen werden. Das Gesundheitssystem ist in Finanzierung und Kompetenz zersplittert. Dass mit den Sozialversicherungen ein wichtiger Player im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen nicht mit am Tisch sitzt, erschwert die Ausgangslage, auch wenn diese von Gesundheitsminister Rauch eingeladen wurden, ihre Vorschläge und Positionen zu formulieren.

Die erzielte Grundsatzeinigung besagt, dass für den Zeitraum von 2024-2028 der Verteilungsschlüssel nicht wie von Ländern und Gemeinden gefordert angepasst wird, dass aber jährlich 2,4 Mrd. Euro zusätzlich aus dem gemeinsamen Topf auf diese Ebenen fließen werden. Für den Bereich Gesundheit alleine sind ca. 970 Mio. Euro mehr vorgesehen, wovon 600 Mio. Euro für Spitalsambulanzen und Strukturreformen geplant sind.

Ob die von BM Rauch gewünschten Weichenstellungen für Reformen, ohne die das Gesundheitssystem „an die Wand fahren würde“, damit geglückt sind, ist unter Experten und Beobachtern umstritten. So erwartet das KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung, dass die Politik im Gesundheitsbereich in den kommenden Jahren entweder durch Steuererhöhungen, Leistungskürzungen oder Reformen reagieren wird müssen. Zumindest in diesem Bereich signalisierte Gesundheitsminister Rauch Zuversicht, wenn er vor dem Hintergrund notwendiger Reformen – wie der Stärkung des niedergelassenen Bereiches zur Entlastung der Spitäler – ankündigte, dass „eine gemeinsame Planung nun stattfinden werde“.

Die Sozialversicherungen hatten im Vorfeld besonders dafür plädiert, nicht nur über die Mittelverteilung, sondern insbesondere über strukturelle Fragen zu sprechen und dazu eigene Vorschläge präsentiert: etwa eine komplette Übernahme der Ambulanzen in der Finanzierung durch die Krankenkassen und damit die Etablierung einer „2-Topf“-Strategie für das Gesundheitssystem, welche den niedergelassenen und ambulanten Teil in Organisation und Finanzierung bei den Kassen, den stationären Bereich bei Ländern und Gemeinden vorgesehen hatte. Naturgemäß wurden für die Stärkung des niedergelassenen Bereiches auch mehr Mittel gefordert.

Vor diesem Hintergrund wurde die aktuelle Einigung von Seiten der ÖGK kritisch beurteilt: die von der Regierung veranschlagten 300 Mio. Euro zusätzliche Mittel für die Stärkung der niedergelassenen Versorgung seien zu wenig, zumindest 800 Mio. Euro wären hierfür nötig gewesen. Dass für die Spitalsambulanzen derzeit doppelt so viele Mittel vorgesehen sind, sei für die Strukturentwicklung das falsche Signal. Ärztekammerpräsident Steinhart hingegen vermisste insbesondere Steuerungskonzepte zur Lenkung der Patientenströme.

Gesundheitsminister Johannes Rauch versicherte, mit dieser Einigung sei auch der Grundstein zu einer breiteren Gesundheitsreform gelegt, welche eine grundlegende Neuregelung der Zuständigkeiten zum Ziel haben soll. Immerhin sind zwei Drittel der vom Bund zusätzlich bereit gestellten Mittel mit Zielen verknüpft, in dieser Form ein Novum. Jedoch: Sanktionsmaßnahmen sind bei Nichterreichung nicht vorgesehen. Es liegt also auch nach der Grundsatzeinigung zum Finanzausgleich noch ein weiter Weg vor den gesundheitspolitischen Stakeholdern, bis von einer Gesundheitsreform gesprochen werden kann.

 

Preisband neu tritt in Kraft

Einen intensiven Herbst bietet in diesem Jahr auch der Erstattungsbereich in Österreich. Einerseits ist mit Oktober die neue Regelung zum Preisband in Kraft getreten. Seit der ASVG-Novelle aus dem Jahr 2017 hatte der Dachverband (bzw. der frühere Hauptverband) für wirkstoffgleiche Arzneispezialitäten im Erstattungskodex ein Preisband festgelegt, welches regelte, dass der Höchstpreis wirkstoffgleicher Arzneispezialitäten maximal 30 % über dem Preis der jeweils günstigsten wirkstoffgleichen Arzneispezialität liegen darf.

Die neue Regelung zum Preisband legt nun fest, dass der Höchstpreis der wirkstoffgleichen Arzneispezialitäten nur mehr 20 % über dem Preis der günstigsten Arzneispezialität desselben Wirkstoffs liegen darf. Zudem orientiert sich der jeweilige Höchstpreis ab Oktober an der sogenannten „Schlüsselstärke“, also jener Wirkstoffstärke, welche über alle vertriebsberechtigten Unternehmen hinweg in Summe die meisten auf Rechnung der Krankenversicherungsträger abgegebenen Verordnungen aufweist, wobei eine Absenkung nur bis zur Rezeptgebühr zu erfolgen hat. Ende Juni 2023 wurde vom Dachverband die Liste der betroffenen Handelsformen veröffentlicht.

Im Juli-Newsletter von IQVIA haben wir bereits eine Berechnung zu den möglichen Auswirkungen des neuen Preisbandes präsentiert, nachzulesen unter Preisband 2023 – Eine IQVIA Studie.

Kritiker der neuen Regelung warnten insbesondere vor dem Hintergrund einer neuerlich drohenden Engpasssituation der Arzneimittelversorgung im Winter davor, dass diese durch die neue Regelungen verschärft werden könnte. 90% der abgegebenen Packungen in Österreich stammen aus dem patentfreien Segment, wovon wiederum 57 % auf Generika fielen. Die konkrete Sorge ist, dass bei steigendem Preisdruck mehr Medikamente den Erstattungskodex verlassen könnten und damit die Versorgungslage weiter unter Druck setzen. Verbunden mit der Höchstpreisfestsetzung bezogen auf die „Schlüsselstärke“, welche zu Fällen führen kann, in der höhere Wirkstoffstärken preislich nicht über niedrigeren liegen dürfen, könnten schwer vorhersehbare Marktdynamiken unvorhergesehene Ergebnisse zeitigen.

Der Österreichische Generikaverband als ein Kritiker der neuen Regelung hatte diesbezüglich etwa – neben einer aktiven Anhebung der Generikaquote – gefordert, Indexanpassungen bei Arzneimittelpreisen zu erlauben, um steigende Kosten bei Energie und Rohstoffen abfedern zu können, sowie die Streichungsverfahren für Arzneimittel aus dem Erstattungskodex, die ab 2024 drohen, abzuschaffen. Durch „Streichungsverfahren“ könnten Preissenkungen auf das jeweils niedrigste Generikum bzw. Biosimilar erzwungen bzw. Medikamente, die dem nicht nachkommen, aus dem Erstattungskodex gestrichen werden. Zu einer Neuregelung vor Inkrafttreten des Preisbandes neu ist es allerdings nicht mehr gekommen.

 

Biosimilar-Preisregel weiterhin in der Schwebe

Ein bevorstehendes Auslaufen einer bis zum Jahresende gültigen Preisregelung wiederum beschäftigt weiterhin die Biosimilars-Industrie. Branchenvertreter sehen sich einer komplexen Gemengelage von Herausforderungen gegenüber, welche sich aus steigenden Kosten, tendenziell sinkenden Preisen und wachsenden regulatorischen Anforderungen ergibt. Grund ist unter anderem die makroökonomische Lage, die durch die Langzeitfolgen der Pandemie und Ereignisse wie den Ukraine-Krieg weiterhin angespannt bleibt und sich etwa in gestiegenen Energie-, Transport- und Rohstoffpreisen äußert. In Österreich kommt zu diesen Herausforderungen noch die bis dato weder verlängerte noch in Dauerrecht überführte Biosimilar-Preisregel hinzu, deren Auslaufen zu verschärftem Preisdruck führen würde.

Die Biosimilars-Preisregel wurde 2017 gesetzlich verankert und bietet eine im Vergleich zu Generika auf die Biosimilar-Situation angepasste Erstattungslösung für Biosimilars und entsprechende Referenzprodukte. Die Preisregel besagt, dass:

  • Der Preis des ersten Biosimilars um 38 % geringer sein muss als sein Referenzprodukt
  • 3 Monate nach Einführung des ersten Biosimilars das Referenzprodukt selbst seinen Preis um 30 % senken muss
  • Beim Eintritt eines zweiten Biosimilars auf den Markt dieses preislich 15 % unter dem ersten Biosimilar liegen muss
  • Bei Einführung eines dritten Biosimilars dessen Preis 10 % niedriger sein muss als der Preis des zweiten Biosimilars
  • 3 Monate nach Einführung des dritten Biosimilars sowohl das originale Referenzprodukt als auch alle Biosimilars zum gleichen (niedrigsten) Preis anbieten müssen.

Die Biosimilars-Preisregel ist befristet und läuft nach aktuellem Stand am 31. Dezember 2023 aus, wodurch die Sonderstellung in diesem Bereich enden und die – dann gültige – Generika-Preisregel wieder zur Anwendung kommt, was höhere Preisabschläge bedeuten würde.

In der Vergangenheit konnten, sofern genügend Biosimilars in den Markt eintraten, die Behandlungskosten um potentiell über 50 % gesenkt werden. Wenn auch die verordnete Gleichpreisigkeit in der letzten Stufe wegen des Verlustes ökonomischer Vorteile von Biosimilars gegenüber Referenzprodukten in Bezug auf die Verschreibungsmotivation nicht kritiklos war, scheint die Preisregel die Marktattraktivität Österreichs für Biosimilars, gemessen am Markteintritt, erhalten und damit beträchtliche Einsparungen für das System ermöglicht zu haben. Bedenkt man, dass der Anteil von Biologika am österreichischen Gesamtmarkt bis 2022 rasant auf 38 % angestiegen ist, wird die Bedeutung dieser Arzneimittelgruppe für state-of-the-art Versorgung besonders deutlich.

Sollte die Preisregel nicht verlängert – oder wie etwa vom Biosimilarverband Österreich gefordert in Dauerrecht überführt – werden, könnte sich diese Situation verschlechtern: gesunkene ökonomische Incentives, Biosimilars auf den österreichischen Markt zu bringen, würden Einführungen verzögern oder gar verhindern. Auch von Seite der Zahler wird diese Gefahr ernst genommen, insbesondere vor dem Hintergrund des bekannten „Loss of Exclusivity“-Potentials im biopharmazeutischen Markt Österreichs in den kommenden 5 Jahren: ob das Einsparungspotential neuer Biosimilars gehoben werden kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Anbieter sich für einen Markteintritt in Österreich entscheiden. Eine geänderte Situation der Regularien zu Erstattung könnten das ökonomische Kalkül entscheidend verändern.

 

 

 

 

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